Eva Schöffel

Von der Bewohnbarkeit des Raums

Wer seine Bücher in Kartons verpackt und in den Keller stellt, wird bald wieder volle Regale haben. Kurz ist die Dauer spontan geschaffener Übersichtlichkeit, in der die Konzentration auf Neues möglich erscheint. Der Vermehrung der Dinge, die noch zu gebrauchen sind, aber nicht gebraucht werden, ist schwer zu begegnen, die Befreiung vom Überflüssigen ein ewiger Vorsatz, Utopie. Gefüllte Schränke sind nicht unbedingt ein Zeichen von Wohlhabenheit und leere Möbel lassen vielerlei Deutung zu. Unsichtbar steht der Mensch hinter den Raumsituationen der Arbeiten von Eva Schöffel, auf denen jede Spur von ihm fehlt.

Radikale Ordnung vermitteln diese kürzlich entstandenen Wachsbilder und Linolschnitte, auf denen Möbel in Szene gesetzt sind. Vordergründig scheint es um eine Rückkehr zu den Basics zu gehen, von elementarer Nützlichkeit sind Tisch, Stuhl und Regal auf der dreiteiligen Wachsarbeit. Die Komposition verschafft ihnen einen Auftritt. Vom einzelnen Möbelstück ist jeweils nur ein Teil sichtbar, als käme es gerade erst ins Bild. Im Einzelfall erweitert sich damit die Ansicht wie beim Tisch, der fünf Ecken aufweist, da er von der linken unteren Bildecke beschnitten wird. Realität und Vorstellung vermischen sich bei der Wahl der Objekte. Stammen deren Vorbilder bisweilen aus dem Umfeld der Künstlerin, vereint sich im Werk die Gestaltung mit dem subjektiven Blick, der die Unregelmäßigkeiten menschlicher Wahrnehmung mit einbezieht. Die Situation, aus der heraus die perspektivische Sicht zu verstehen wäre, ist nicht im Bild. Zusammen mit der Transparenz des Wachses, das durch die Dicke der Platte die Farben scheinen läßt, verleiht dies den Motiven zusätzliche Lebendigkeit.
 
Bei der Wiedergabe von Regal, Tisch und Stuhl treffen darstellende Geometrie, Wirklichkeit und abstrakte Gestaltung der Bildfläche aufeinander. Im Fall des Tisches stehen sich zwei Realitätsebenen gegenüber. Da beschneidet links unten die Wachsplatte gegenständlich rechteckig die Tischfläche, während die Darstellung die Winkel an der Tischkante perspektivisch verzerrt. Die besagte Ecke ist zugleich Teil des dreidimensionalen Bildträgers und Teil der zweidimensionalen Fläche Bild bzw. Tisch. Ähnlich wie bei einem Vexierbild kann sich der Betrachter  darauf konzentrieren, die Farbfläche als geometrische Figur oder als einen Tisch, der dynamisch in die Bildfläche dringt, zu sehen. Im Gegensatz zum Allover-Painting, wo eine Fortsetzung nach allen Seiten möglich wäre, ist der Ausschnitt von der Künstlerin auf seine Wirkung hin genau bestimmt.

Der Tisch stößt in das  wächserne Weiß des Hintergrundes, der die Wand darstellen könnte. Die stumpfe Dynamik hat ihren Gegenpol im Stuhl, der von rechts in sein Hochformat kommt. Von der Bildfläche weggedreht, lädt er doch zum Sitzen ein, denn er ist mit dem schweifenden Blick betrachtet, der mit unterschiedlichem Sehwinkel auf Lehne und Sitzfläche verweilt. Diese Vertrautheit   wird im Formalen gebändigt, wie es sich in der Parallelität der Diagonalen von Sitz- und Bildfläche zeigt. Die Bruchstückhaftigkeit visueller Aktivität findet ihre Entsprechung in der nur teilweisen Wiedergabe des Stuhls wie auch des Tisches und Regals.
Kompositionell sind die drei Wachsplatten aufeinander bezogen, wobei eine versetzte Hängung vorgegeben ist, die das Pathos des Triptychons vermeidet. Links oben von Tisch und Stuhl schwebt das hochformatige Regal im querformatigen Bild. Jedes Möbelstück ist durch eine andere Geschwindigkeit charakterisiert.
Dasselbe gilt für die Farbe, die einmal nah an der Wirklichkeit bleibt, das andere Mal spielerisch wirkt. Der grüne Stuhl bekommt eine dunkelblaue Blende, der hellblaue Tisch eine holzfarbene Kante und ein braunrotes Bein, das Regal tritt in Orange und Grau auf. Durch die sanfte Milchigkeit der Farbtöne wird das Faktische in Fiktion übergeführt. In der westlichen Zivilisation gibt es noch einige Möbelstücke, die zur Grundausstattung funktionierenden Wohnens gehören. Das Trio, mit dem wir es hier zu tun haben, vertritt diese.

Wegen seiner leichten Formbarkeit und seiner ästhetischen Qualitäten fand Wachs in der Renaissance Verwendung als Material für Bildnisbüsten. Einfach sind dagegen die Wachsplatten von Eva Schöffel nicht herzustellen. Sie entstehen durch eine langwierige und komplizierte Gießtechnik, die einige Geschicklichkeit und Geduld erfordert. Jede Farbfläche muß getrennt gegossen werden, beim Ansetzen müssen sich die Schichten verbinden. Dies bedingt eine genaue Vorbereitung,  da in der letzten Phase des Arbeitsprozesses nichts mehr korrigiert werden kann. Daher bedeutet die Entwicklung eines solchen Werks das Erarbeiten einer fest umrissenen Vorstellung.

1994 hat Eva Schöffel für eine Einladungskarte den Linolschnitt verwendet. Drei Jahre später hat sie ihre Frisuren, bis dahin plastische Arbeiten in Wachs, in dieser Technik formuliert. Seither sind Linolschnitte ein wichtiger Teil ihres Werks. Hier verbinden sich die spröde Handwerklichkeit des Drucks mit der poetischen Sichtweise der Künstlerin. Während der Wachsguss das Unpersönliche des perfekten Arbeitens wiedergibt, ist die Herstellung der Druckvorlage für die Handschrift noch offen. Thematisch geht es bei den vorliegenden Linoldrucken wieder um Möbel, doch sind sie hier den Linien des Raums ausgesetzt: ein Teppich in einer Ecke, eine grüne Türe in einem Zimmer mit roten Wänden, noch ein Tisch, diesmal bezeichnen die vier Beine einen Gegenraum unterhalb der Platte. Ein geöffneter Karton gibt sein Geheimnis nicht preis, ein Schnurvorhang verhindert die Aussicht in einen unbekannten Raum. „Zimmer“ nennt Eva Schöffel jede dieser Arbeiten.

Auch nur „Zimmer“ heißt der 148 x 200 cm große Linolschnitt, der in der Artothek ausgestellt war und einen dunkelgrünen Schrank innerhalb von blaßrosa Wänden zeigt. Die Variation der Möglichkeiten ist Teil der Aussage. Für Eva Schöffel bedeutet Material den Stoff, aus dem das Werk gefertigt ist. Die abgebildeten Gegenstände bestehen aus Form und Farbe. Wie beim Sofa ohne Sitzfläche ist die Form der Weg zum Ausdruck und nicht das realistische Detail. Diese nahezu leeren Räume der Drucke bergen die Schnittstelle von Kunst und Leben - in der Gestaltung verschmelzen Kunst und Wirklichkeit. Wie bei ihren Frisuren in Wachs und den Reliefs von Körperausschnitten steht bei den Möbelstücken im leeren Zimmer die Zeit still.

Dies trifft auch für die lesende Frau zu, eine weitere Arbeit in Wachs aus dem Sommer 2001. Sie besteht aus fünf quadratischen Platten und wird durch die Tätigkeit des Lesens zu einem Ganzen. Bei dieser Bauchlage lesen sogar die Füße mit. Jede Tafel kann für sich selbst als Pars pro toto stehen. Eva Schöffels Bildwelten verweisen auf das, was nicht zu sehen ist, und sind doch von überwältigender Präsenz. Unter der Intensität ihres Blicks wird das Elementare zum Mittelpunkt des Lebens.

Annemarie Zeiler

Aus Katalog „ Zimmer und Gärten“ 2004

 

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